Montag, 13. April 2015

Aveiro






Etwa auf halber Strecke zwischen dem nordportugiesischen Porto und der Universitätsstadt Coimbra liegt die Stadt Aveiro reizvoll am Ostrand eines etwa 47 km langen und bis zu 11 km breiten fischreichen Haffs (port.: ria).
Dieses Haff, die Ria de Aveiro, ist ein verzweigter und artenreicher Brackwasserbinnensee der vom Fluss Rio Vouga und dem Atlantik gespeist wird und den die ortsansässige Bevölkerung oftmals wegen seiner vielen Seitenarme „Polipo aquático“ (dt.: Seepolyp) nennt.
Aveiro ist Distriktshauptstadt, Bischofsitz und einer der wichtigsten Hafenstädte an der Westküste Portugals.
Etwa 80.000 Menschen leben in und um Aveiro, und während sich früher die Bevölkerung hauptsächlich der Fischerei, der Meersalzgewinnung der Salinen der Ria de Aveiro und dem Seetank (port.: moliço) des Haffs, der als Dünger sehr geschätzt war und neuerdings wieder ist, widmete, sind die Hauptgeschäftszweige der Stadt heute die seit dem 19. Jahrhundert hier angesiedelte Porzellan- und Keramikerzeugung, die Papier- und Nahrungsmittelindustrie und der Tourismus.

Die Gegend um Aveiro war, so zeigen neuzeitliche Ausgrabungen, schon bereits in der Jungsteinzeit und in der Bronzezeit besiedelt.
Später ließen sich die Römer in der Gegend nieder und gründeten im heutigen Stadtgebiet von Aveiro die Siedlung „Talabriga“.
In der Schenkungsurkunde „Suis terras in Alauraio et Salinas“, die mit dem 26. Februar 959 datiert ist und den die damals einflussreichste Frau der Iberischen Halbinsel, Gräfin Mumadona Dias (port.: Condessa Mumadona Dias), an das Kloster von Guimarães verfasst, wird Aveiro zum ersten Mal urkundlich namentlich erwähnt.
Im Jahre 1434 erlaubt König Duarte I den Bürgern der Stadt fortan einen alljährlichen Markt abzuhalten, einen Markt, der noch heute jedes Jahr im März (port.: Feira de Março) abgehalten wird.
Ab dem Ende des 15. Jahrhundert wurde Aveiro, Dank seiner außergewöhnlichen Lage, zu einem der bestgeschützten Hafenplätze Portugals und erlebte zu Zeiten der Entdeckungsfahrten seine größte Blüte.

Der Hafen von Aveiro war so geschützt weil der Rio Vouga durch seine angeschwemmten Ablagerungen dafür sorgte, dass lediglich eine schmale Verbindung, die „barra“, zum Meer hin offen blieb.
Ein schweres Unwetter verwüstete 1575 den Ort und verschloss die „barra“, den einzigen Zugang zum Meer. Der nunmehr vom Atlantischen Ozean getrennte Hafen verlor rasch seine ursprüngliche Bedeutung. Alle Versuche, die verschüttete Passage freizuräumen, scheiterten kläglich.
Die Fischer wurden damals von einem Tag auf den anderen brotlos, erfolgreiche Entdeckungsfahrten von Aveiro aus waren ab da durch die Versandung auch nicht mehr möglich und so erlebte die Bevölkerung einen rapiden sozialen und ökonomischen Absturz.
Aveiro brauchte Jahrzehnte um sich von dieser Naturkatastrophe zu erholen. Von den ehemals 14.000 Einwohnern die damals die Stadt bevölkerten blieben lediglich nur etwas über 3.000 übrig.

In einem feierlichen Akt erhob König José I Aveiro am 11. April 1759 zur Stadt.
Wahrscheinlich tat er das, um die Bevölkerung der Stadt zu beruhigen, denn nur wenige Monate vorher, am 13. Januar 1759, hatte der König den letzten Herzog von Aveiro (port.: Duque de Aveiro), Dom José de Mascarenhas da Silva e Lencastre, wegen seiner angeblichen Teilnahme an einem Attentat gegen den König, öffentlich wegen Hochverrats auf grausamste Art und Weise in Lissabon hinrichten lassen.
Der Hass von König José und der seines Prämierministers Marquês de Pombal gegenüber dem Herzog von Aveiro war so groß, das auf königlichen Befehl hin, der Name der Stadt von Aveiro in Nova Bragança umgeändert wurde.
Aber als Königin Maria I, die Tochter von König José I, 1777 den Thron bestieg, entledigte sie sich des von ihr gehassten Prämierministers ihres Vaters und es war sie, die aus Nova Bragança wieder Aveiro machte.

Im Frühjahr 1808 wüteten wieder orkanartige Sturmfluten über Aveiro, die so stark waren, das die alte versandete Durchfahrt, die „barra“, wieder auf natürliche Weise größtenteils freigespült wurde.
Am 03. April 1808 konnte nach größten Anstrengungen endgültig ein neuer Zugang zum Atlantik hin eröffnet werden. Fortan schützte man diese für die Stadt so wertvolle Öffnung zum Meer vor neuerlicher Versandung mit zahlreichen Deichbauten und Wehren.
So konnte Aveiro in den letzten zwei Jahrhunderten seine Bedeutung als einer der besten Häfen Portugals wiedergewinnen.

Häufig wird Aveiro mit Amsterdam und Venedig verglichen – angesichts der nur drei vorhandenen Kanäle ein recht gewagter Vergleich.
Dennoch sorgen diese drei Kanäle – der Canal das Prâmides, der Canal de São Roque und der Canal dos Santos Mârtires – und die vielen mittelalterlichen Bauten in der Stadt für ein sehr schönes Stadtbild.
Das die Stadt sich solch eine einzigartige und reizvolle Atmosphäre bewahren konnte, hat sie auch ohne Zweifel den pittoresken Seetangbooten (port.: barcos moliceiros) zu verdanken, die heute hauptsächlich für touristische Zwecke benutzt werden.

„Moliceiros“ heißen die Seetangfischer von Aveiro, die mit eben diesen charakteristischen Booten heute noch teilweise in der Ria de Aveiro, dem Haff von Aveiro, Seetang „ernten“.
Das Wort „moliceiro“ kommt von dem Wort „moliço”, dem portugiesischen Wort für Algen oder Tang, bzw. dem daraus gewonnenen natürlichen Dünger für die Landwirtschaft.
Die „moliceiros“ fahren mit ihren zumeist aus Kiefernholz gezimmerten, an den großen Bugschnäbeln und am Heck mit naiven Darstellungen bunt bemalten Segelkähnen in das weit verzweigte Haff hinaus und fischen mit einem großen Rechen den dort vorhandenen Tang aus dem Wasser.
Bei genügend starkem Wind setzen die Fischer auf den bis zu 15 m langen und etwas über 2 m breiten Booten trapezförmige Segel. Ansonsten bewegen sie die Kähne mit langen Staken oder treideln sie in schmalen Kanälen auch mit langen Seilen.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Zahl der Barken in Aveiro von einst über tausend auf leider nur noch einpaar Dutzend registrierte Boote verringert. Die meisten werden für den Fremdenverkehr vermarktet um mit ihnen sehr reizvolle Kanalfahrten zu machen, aber einpaar werden auch für ihre eigentliche Bestimmung als Seetangboote genutzt.
Der früher sehr verbreitete, einträgliche Beruf des Tangfischers war eine zeitlang praktisch ausgestorben da die Landwirtschaft weitgehend zur Verwendung von Kunstdünger übergegangen war und harter Existenzkampf und Landflucht der Jugend an der Tagesordnung waren. In letzter Zeit aber, Dank der ökologischen Denkweise vieler Obst- und Gemüseproduzenten und der Verbraucher ist, der Absatz an Seetang etwas gestiegen und so gewinnt der Beruf des „moliceiro“ neuerdings etwas mehr an Bedeutung.

Anlässlich des Stadtfestes „Festa da Ria“, das alljährlich in den Sommermonaten Juli oder August stattfindet, treffen sich die letzten Tangfischer von Aveiro in der Ria zu einer Regatta, verbunden mit Geschicklichkeitswettbewerben und einem Wettstreit um die schönste Bootbemalung.
Ein Fest, dass man sich nicht entgehen lassen sollte!

Ebenso nicht entgehen lassen sollte man sich die vielen historischen Bauwerke in der Altstadt von Aveiro.
Die bedeutendsten von ihnen sind:

- das Kloster Mosteiro de Jesus
dieses Dominikanerkloster wurde 1458 gegründet und beherbergt heute das Stadtmuseum von Aveiro (port.: Museu de Aveiro), das auch unter dem Namen Museu da Santa Joana (dt.: Museum der Heiligen Johanna) bekannt ist.
Joana war eine portugiesische Infantin und wurde 1452 als Tochter von König Afonso V und seiner Gemahlin Königin Isabel geboren.
Im Jahre 1475 trat Joana in das Dominikanerkloster ein und blieb in diesem bis zu ihrem Tod am 12. Mai 1490. Im Kloster Mosteiro de Jesus wurde sie dann auch beigesetzt.
Im Jahre 1693 wurde Joana von Papst Innozenz XII selig gesprochen und obwohl die katholische Kirche sie bis heute nicht heilig gesprochen hat, wird sie hierzulande heute als Santa Joana (dt.: Heilige Johanna) verehrt.
Das sehenswerte Museum beherbergt zahlreiche Gemälde, Azulejos und religiöse Gegenstände, die dem Leben der Santa Joana gewidmet sind

- die Kirche Igreja São João Evangelsta (dt.: Sankt Johanneskirche)
in dieser Kirche waren einstmals im 17. Jahrhundert die Karmelitinnen untergebracht, weshalb die Kirche heute auch unter dem Namen Igreja das Carmelitas bekannt ist. Sie ist sehr prunkvoll ausgestattet, mit einer bemerkenswerten Kassettendecke, einem reich verzierten Altar und wunderschönen, sehenswerten Azulejos an den Wänden

- die Kathedrale von Aveiro (port.: Sé de São Domingos de Aveiro)
dieses Gotteshaus ist aus dem 15. Jahrhundert und dem Heiligen Dominikus gewidmet. Ursprünglich Hauptkirche des Dominikanerklosters der Stadt Aveiro, wurde sie im Jahre 1938 zur Kathedrale erhoben. Da die Kirche seit ihrer Gründung mehrmals umgebaut wurde, kann man heute an und in ihr verschiedene Stilrichtungen, wie Manierismus, Barock und Modernismus, bewundern

- die Kirche Igreja de Nossa Senhora da Apresentação (dt.: Kirche Unserer Lieben Frau in Jerusalem)
diese Kirche wurde im Jahre 1606 erbaut und ist in ihrem Inneren ein Überschwank an barockem, vergoldeten Holzschnitzereien, der so genannten „talha dourada“. Glanzpunkt der Innenausstattung der Kirche ist eine gotische Marienfigur aus Alabaster. Anfang des 18. Jahrhunderts wurden dann an der Außenfassade die zwei großen Azulejobilder angebracht.

Weitere sehenswerte Objekte in Aveiro sind das Stadttheater (port.: Teatro Aveirense), der alte Bahnhof (port.: Estação de comboios) mit seiner prachtvollen Azulejofassade, das schöne Rathaus und der Pranger (port.: pelourinho) aus dem 18. Jahrhundert.

Ein weiteres Highlight von Aveiro ist zweifellos seine Gastronomie.
Typische regionale Fischgerichte, wie z.B. Aaleintopf (port.: caldeirada de enguias), haben den Ruf zu den besten kulinarischen Speisen zu gehören, den das Land zu bieten hat.
Wenn man nicht gerade am Abnehmen ist, dann sollte man unbedingt die traditionellen „ovos moles“ (dt.: weiche Eier) probieren, eine Süßspeise die praktisch nur aus zwei Komponenten besteht, nämlich Eigelb und Zucker – sehr viel Zucker!

Aveiro ist zweifellos eine der schönsten und originellsten Städte in Portugal und zu jeder Zeit eine Reise wert!

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